Fluchtbericht von Detlef Dolezal

Am Freitagabend des 19.08.1983 hatten wir Besuch aus Leipzig und wir haben gegrillt. So gegen 22.00 Uhr sind wir Männer noch einmal in die Dorfwirtschaft des Ortes gegangen um noch etwas zutrinken. Wie immer wurde am Stammtisch nur über Politik geredet und auf die DDR geschimpft.

Als wir gegen 0.00 Uhr nach Hause kamen sagte ich zu meiner Frau, "Ich haue ab und hole Dich nach".

Meine Frau sagte mach und legte sich ins Bett, da sie müde war. Sie dachte, ach was, in 30 Minuten ist er eh wieder da. Wir wohnten 10 KM von der Zonengrenze weg. Ich nahm also unseren Trabi 1 1/2 Jahre alt und fuhr los.

Zwischen den Orten Mauderode und Gudersleben (Südharz) stellte ich am Schild "Sperrgebiet"das Fahrzeug ab und ging die restlichen 5 KM zu Fuß.

Ich sah bald schon einen Wachturm, dieser war aber unbesetzt. Ich lief direkt auf diesen zu. Der Turm war hinter einem Zaun. Da ich im Mai 1977 zu den Grenztruppen nach Potsdam einberufen war (war nur einen Monat dort, dann hat man mich zu den Mot.Schützen nach Schwerin versetzt) wußte ich vom Unterricht bei den Grenztruppen dass dieser Zaum mit Signalstrom betrieben wird. Man darf diesen also nicht berühren, sonst erfolgt Alarmauslösung.

Wie ich so den Zaun entlang lief und überlegte wie ich diesen überwinden kann, sah ich am Pfosten eine Kuhle. Diese hatte sicher ein Tier gegraben. Dort konnte ich bequem durchkriechen. Dahinter war ein Waldstück, welches 30 Jahre kein Mensch betreten hatte. Ich irrte dort umher und es wurde langsam hell, da sah ich eine Lichtung. Links ein Wachturm und rechts ein Wachturm, zwischen 2 Stacheldrahtzäunen und einen KfZ-Sperrgraben. Ich überwand den Grenzzaun 1 einfach durch überklettern, da dieser Zaun nur 1.50 m hoch war. Dann robbte ich über einen Sandstreifen (dies war das Minenfeld, stand aber nicht dran) und sprang in den Graben. Ich schaute nach links und nach rechts um zu sehen ob ich bemerkt wurde. Da keine Reaktionen kamen sprang ich aus dem Graben und lief auf den Grenzzaun 2 zu. Dort schaute wie ein Wunder eine 10 cm lange Schraube am Pfosten raus, so dass man ganz bequem den Zaun überwinden konnte. Ich lief einen Hang hoch und dort war ein Schild, auf diesem Stand "halt hier Grenze" und drunter noch Bundesgrenzschutz.

Ich wußte also, ich habe es geschafft. Ich lief dann in die nächste Ortschaft oder besser gesagt zu einem Haus, da gab es nur drei Häuser. Am Ortsschild stand "Wiedigshof Gemeinde Walkenried, Landkreis Osterode am Harz". Ich schaute nach den KfZ-Kennzeichen und da stand OHA für Osterode/Harz. Ich ging auf den Stall zu und sagte zu den Bauern: "Ich komme aus der DDR", was sie nicht glauben wollten. Zum Glück hatte ich meinen Ausweis mit. Die Leute waren so erfreut und tafelten gleich auf, Wurt, Kuchen ;Kaffee usw. Sie informierten den Grenzschutz der nach ca 20 Minuten kam.

Erst einmal wurde mir gesagt was ich mir erlauben tät, es sei Samstag und ihr freier Tag. War aber eher spaßig gemeint. Sie fuhren dann im Auto mit mir zur Grenze und ich musste meine Durchbruchstelle zeigen. Sie fragten ob ich direkt dort aus dem wald gekommen bin, was ich bejahte. Glück gehabt sagten sie, 10 Meter weiter südlich und ich wäre in eine Signaldraht-Falle gekommen. Dann sagten sie dass ich seit 15 Jahren der erste sei, der hier durchkam, da alles vermint ist. Dort lagen Minen in 5 Reihen, normal sind 4 Reihen. Aber 5 deshalb, weil es noch alte Zäune aus den 50iger Jahren waren. Von den 1400 KM Grenze gab es gerade einmal noch 80 KM mit alten Zäunen. Die neuen Zäune waren 2,40 Meter hoch mit Selbstschußanlagen versehen.

Also wieder Glück gehabt.

 

Nachdem ich denen also die Fluchtstelle gezeigt hatte, fuhren sie mich in eine Kaserne des Bundesgrenzschutzes in Bad Lauterberg.

Dort konnte ich mich duschen und wurde kurz befragt, ob ich Verwandte hier habe usw. Dann fuhren sie mich nach Friedland, ins Notaufnahmelager. Dieses war ziemlich gefüllt. Als ich zu Leuten sagte "Guten Tag" sagte man mir die verstehen nix, die kommen alle aus Polen und Rumänien. Dort bekam ich dann etwas zu essen, eine Reiusetasche mit Waschzeug usw. Bekleidung hatten sie nicht für mich, da Samstag war und die Kleiderkammer somit geschlossen war. Ich konnte mich etwas ausruhen, so 1 Stunde und dann brachte man mich zum Bahnhof.

Man sagte für DDR-Flüchtlinge ist Giesen zuständig. Man gab mir 40,- DM und sagte:"wenn der Schaffner kommt sagen sie dass sie in Friedland zugestiegen sind und nach Giesen wollen. Dies kostet so 35,- Mark, dann habe ich noch 5,- um etwas zu trinken zu kaufen.

Der Schaffner kam und ich sagte meinen Spruch. Was kam von ihm, der Zug kommt von Göttingen, also zahlen sie ab Göttingen oder aussteigen.

Also zahlte ich, 38,- DM. Also hatte ich noch 2,- DM. Für diese kaufte ich eine Postkarte in Kassel, wo ich umsteigen musste. Die Karte ging an meine Frau.

In Giesen angekommen, fand ich die Notaufnahme schnell, liegt in Bahnhofsnähe. Dort traf ich ganze 3 Familien und einen Junggesellen an, mehr Leute waren da nicht. Den Sonntag verbrachte ich dann noch im Lager.

Am Montag ging es dann los:

Untersuchung, Bundesnachrichtendienst, millitärischer Abschirmdienst, franz. eng. und amerik. Geheimdienst. Von allen wurde man befragt. Man bekam neue Anziehsachen, damit man nicht so auffällt mit Ossiklamotten.

Am Dienstag dann noch einige Formulare ausfüllen, es gab 150,- DM Begrüßungsgeld und die Fahrkarte wo man hin wollte. Dies wars, schau zu wie du zurecht kommst. Ich fuhr dann nach Mellrichstadt/Unterfranken zu meinem Onkel.